Bisher läuft es meistens so: nach dem Treatment erfolgen Kalkulation und Drehplanung, wobei möglichst alle Unwägbarkeiten mit einfließen sollten. Erst wenn alles abgedreht – und gesichtet – ist, geht es in den Schnitt, oft mit weichen Knien, denn was, wenn das Material nicht trägt? Was, wenn ein Interviewpartner nicht so gut rüberkommt wie in der Drehsituation gedacht? Oder umgekehrt: Wie soll man die schiere Masse an hervorragendem Material bändigen? Man könnte zwei Filme daraus machen, aber das ist nicht vorgesehen.
Agile Entwicklung arbeitet inkrementell und iterativ. Das bedeutet, ein „Produkt“, in unserem Fall der Film, wird in Einzelschritten – sogenannten Inkrementen – hergestellt, die in verschiedenen Durchgängen – Iterationen – zu einem Ganzen zusammengefügt und dabei kontinuierlich verbessert werden. Wie kann das an einem konkreten Beispiel aussehen? KANN wohlgemerkt, denn „agil“ bedeutet auch: ausprobieren. Oder frei nach Samuel Beckett: „Ever tried, ever failed. No matter. Try again, fail again. Fail better.“
Der Lieblingsstoff von Queen Mum – Ein Planspiel
Eine Kulturgeschichte des Gins in zwei Fassungen (52 und 45 Minuten) als Eigenproduktion eines öffentlich-rechtlichen Senders. Drehorte sind Hamburg, Berlin, London, Dordrecht und die Algarve.
London (GBR):
Herstellung des traditionellen „London Dry Gin“
Besuch einer Destille, die alkoholfreien „Gin“ herstellt
Portrait einer Gin-Bar: Gin-Sorten; Gin-Cocktails; das Geheimnis des passenden Tonics; das Gin-Rezept von Queen Mum (Dubonnet statt Tonic)
Spurensuche der Anfänge von Schweppes in London
Spurensuche Historie der Gin-Begeisterung
Hamburg:
Herstellung eines lokalen Gins
Besuch bei einem Gewürzgroßhändler, der die „Botanicals“ liefert.
Portrait eines Sammlers von Schweppes-Devotionalen (Guinness-Weltrekord)
Portrait einer Gin-Bar (Gin-Sorten; Gin-Cocktails, das Geheimnis des passenden Tonics)
Berlin:
Besuch des Bar Convents auf der Suche nach dem Gin (-Cocktail) der Zukunft.
Martini: gerührt oder geschüttelt? Ein kleiner Contest unter den Meistern der Bar-Zunft.
Dordrecht (NLD):
Besuch einer alten Genever Destillerie; Historie, Anfänge des Gins
Algarve (PRT):
Zitronen- und/oder Wacholderernte
Einige der Themen können an verschiedenen Orten realisiert werden, der Ort mit der größten Themenbreite ist London. In einer klassischen Produktion müsste man sich im Vorfeld festlegen, welche Themen wo abgearbeitet werden, um Doubletten zu vermeiden. Allerdings sind Recherchereisen heute aus Kostengründen kaum mehr möglich, schon gar nicht zu einer so teuren Location wie London. Die Entscheidung über Orte und Personen kann also nur über Skype gefällt werden.
Man beginnt mit der ersten „Iteration“, dem ersten Teilstück, und zwar möglichst mit dem, das den höchsten „Wert“ erzeugt. Inhaltlich gesehen ist das London, aus Kostengründen wäre es aber sinnvoll, den Dreh in Großbritannien auf das Notwendige zu beschränken. Um erst einmal anzufangen, bietet sich also der Dreh in Hamburg an.
Jede Iteration hat zum Ziel, ein „Inkrement“ in diesem Fall einen Film zu liefern, der potentiell „fertig“ ist. Eine Iteration in einer Filmproduktion muss also mindestens auch noch den Schnitt einschließen. Ob beispielsweise auch Titel, Farbkorrektur, Text, Sprachaufnahme, Mischung dazugehören, wird in der „Definition of Done“ festgelegt.
Nach → Scrum werden diese Iterationen „Sprint“ genannt und müssen eine für den gesamten Produktionsprozess gleichbleibende Länge zwischen einer und vier Wochen haben. Das Team beschließt, für diese Produktion eine Sprintlänge von einer Woche anzusetzen.
Das Team? Gibt es niemanden, der sagt, wo’s langgeht?